Eines Tages stürzt der Großvater auf dem „Berg des Grauens“. Der Legende nach bedeutet dies, dass er nur noch drei Jahre zu leben hat. Aber „es gab doch noch so viel Schönes, das der Großvater erleben wollte.“ Die drei Jahre vergehen und tatsächlich fühlt der Großvater sich krank und spürt sein Ende nahen. Die beste Ärztin weit und breit kann weder eine Diagnose stellen noch eine Therapie finden. Da kommt kurz vor Ablauf der drei Jahre Großvaters Enkelin zu Besuch und hat eine einfache Lösung parat, die ihm noch viele Lebensjahre schenkt. So wird der verhängnisvolle Berg zum „Berg des langen und glücklichen Lebens“ und die Menschen purzeln ihn fortan mit Begeisterung hinunter.
Die von Dayeon Auh in Bild und Text neu erzählte Geschichte beruht auf dem koreanischen Volksmärchen „Samnyeongogae“ (Engl.: Three-year mountain path) und ist den meisten Kindern in Südkorea aus Kindergarten und Schule gut bekannt. Berge sind für Südkoreaner*innen allgegenwärtig, bedecken sie doch mehr als 70 Prozent der Fläche des Landes. Dass sich um die Berge zahlreiche Sagen und Volksmärchen ranken, ist daher nicht verwunderlich. Viele dieser Geschichten haben ihren Ursprung in der oralen Erzähltradition, was sich auch in Dayeon Auhs Text wiederfindet: „Wer diese Geschichte in die Welt gebracht hatte, wusste niemand.“ Die Autorin und Illustratorin hat das Märchen über Glück und Unglück und den Glauben daran behutsam modernisiert. So lässt sie etwa anstelle von Arzt und Enkel, wie in früheren Versionen, die Ärztin und die – Rettung und Glück bringende – Enkelin agieren.
Besonders und sehr eindrucksvoll sind Dayeon Auhs expressive, leuchtende Illustrationen. Mit Bleistift, Buntstift, Kreide und Acrylfarbe schafft sie eine surreal-dynamische Welt mit lila-blauen Bergen, gelbem Himmel oder roten Bäumen, wobei sie in den Proportionen und Formen ganz frei gestaltet und (nicht nur) kindliche Betrachter*innen zum Staunen bringen dürfte. Ihre Figuren legte die Künstlerin mithilfe von Charakterstudien an und fügte sie teilweise als Collageelemente in ihre Bilder ein, ergänzt durch ebenfalls collagierte Pflanzen oder Tiere.
Mit Kindern ab 8 Jahren ließe sich anhand verschiedener Glücks- und Unglücksbringer und deren (vermeintliche) Wirkungen in das Thema „Aberglaube“ und in die Geschichte eintauchen. In einer bildkünstlerischen Werkstatt könnten sie, unter Nutzung der verschiedenen Materialien und Techniken der Künstlerin, gestalten, wie der Großvater nach seinem Sturz weiterlebt.
