Als wir allein waren
Illustration: Julie Flett
Aus dem kanadischen Englisch Christiane Kayser
26 Seiten
ab 8 Jahren
€ 13,90

Ein Mädchen hilft der Großmutter im Garten. Das Kind beobachtet die alte Frau und stellt Fragen: nach ihrer bunten Kleidung, ihrem langen Haar, der Sprache und der Familie. Die Großmutter erzählt von ihrer Kindheit. Stereotyp heißt es immer wieder: „in der Schule, in der ich war, weit weg von zuhause“. In dieser Schule mussten die Kinder eine dunkle Schuluniform tragen, ihre Haare wurden kurz geschnitten und sie durften ihre Sprache nicht sprechen. In unbeobachteten Momenten jedoch, „als wir allein waren“, versuchten die Kinder sich zu wehren und waren „glücklich.“

Die Vorfahren von Autor und Illustratorin waren kanadische Cree. Die Kinder der Indigenen wurden bis Ende des 20. Jahrhunderts in Internatsschulen („Residential Schools“) verbracht, dort „umerzogen“ und ihrer Kultur entfremdet. Was das für sie bedeutete und wie sie damit umgingen, gestaltet das Buch symbolisch mittels einfacher Frage-Antwort-Situationen, wobei der Text Cree-Begriffe enthält, welche im Nachwort übersetzt werden: z. B. „Kókom“ für Großmutter oder „Nósisim“ für Enkelin. Den Gegensatz Gegenwart –Vergangenheit drückt das Layout aus, indem die Gegenwart zwischen Ich-Erzählerin und  Großmutter in Schwarz, die Erinnerungen der Großmutter in Braun gesetzt sind. Textknappheit und -farben spiegeln sich in den stark reduzierten, collageähnlichen Illustrationen, welche, flächig-zeichenhaft gestaltet, besonders eindrucksvoll wirken. Flattern anfangs wiederholt Herbstblätter durch die Seiten, Ausdruck für den „Indian Summer“ und die unterdrückte Farbenliebe der Cree, so sind später im Text nicht kommentierte Zugvögel Indikatoren für deren Freiheitsgefühl.

So einfach Text und Bildsprache erscheinen, so komplex und bedeutsam ist der historische Kontext. Auch gegenwärtig werden Angehörige von Minderheitskulturen in dominante Staatsstrukturen „eingepasst“: Aborigines in Australien, Uiguren und Tibeter in China, Kurden in der Türkei und Amazonas-Völker in Brasilien. Insofern ist das kleine Buch – auch laut Verfasser – aktuell ein Baustein der Decolonize-Bewegung. Ein Appell, das Eigene und den Eigensinn zu bewahren oder wiederzugewinnen.

Für die Arbeit mit dem Buch wäre ein genaueres Nachwort über historische Hintergründe hilfreich, insbesondere über die Begriffe „First Nations“ oder „Residential Schools“. Auch das „Bannockbrot“-Rezept fehlt. Ein Gespräch darüber, was Kinder von fremden Kulturen wissen und was sie für sie bedeuten, wäre ein geeigneter Einstieg in das Buch. Ein Dank an den Verlag, das Buch gefunden und hiesigen Kindern zugänglich gemacht zu haben.

(Der Rote Elefant 38, 2020)