Cover: Christian Frascella, Bet empört sich

2010 erschien der Essay Empört euch! von Stéphane Hessel, weltweit ein Bestseller. 2011, noch „unter Berlusconi“, erschien Bet empört sich, dessen deutscher Titel auf Hessel anspielt. Die Wirtschaftskrise Italiens, eine korrupte Regierung und die Chancenlosigkeit vieler Jugendlicher verursachten 2013 einen unerwarteten Zulauf für die Partei des Satirikers Pepe Grillo. Vor diesem Hintergrund spielt die Handlung des für die gegenwärtige Jugendliteratur ungewöhnlich stark politisch intendierten Gegenwartsromans.

Die 17-jährige Bet wohnt in einem Turiner Arbeiterviertel inmitten einer kulturell gemischten Nachbarschaft. Sie empört sich über unterwürfige Muslimas, Machos und Vermieter, die skrupellos Leute auf die Straße setzen. Von Unrechtsbewusstsein beseelt, will sie alle Missstände beseitigen, gesellschaftliche und private. Das mündet meist im Chaos, hat viel Situationskomik, nimmt für Bet ein, bietet aber auch Distanzmöglichkeiten. So zerstört ihr Aktionismus beinahe die neue Freundschaft zur hochschwangeren Viola, weil Bet den Kindsvater ob seiner Verantwortungslosigkeit ohne Wissen Violas abkanzelt. Im furiosen Schlusskapitel dagegen leistet Bet im steckengebliebenen Fahrstuhl erfolgreich Geburtshilfe. Bets Teilnahme am Streik gegen Entlassungen in der Firma der Mutter bringt Mutter und Tochter einander wieder näher. Die Empörung über die Niederschlagung des Streiks mittels brutaler Polizeigewalt mündet in neues Chaos. Bet kettet sich in der Schule an, provoziert damit eine Schulbesetzung und teilt über youtube mit, was sie von dieser unsolidarischen Gesellschaft samt weiblicher Ausbeutung hält. Dem darauf einsetzenden medialen Hype – Bet soll Star von Talkshows und Seifenopern werden – widersetzt sie sich bewusst selbstkritisch: „Den Leuten scheint es echt dreckig zu gehen, wenn sie auf eine wie mich hören.“

Frascella kreiert eine politisch wache, anfangs ziemlich einsame (Anti)Heldin, die sich nichts sagen lässt: nicht von der Mutter und deren duckmäuserischem Lebensgefährten (der leibliche Vater wohnt in Rom), nicht von angepassten Lehrern oder obrigkeitshöriger Polizei. Mit lauter Empörung und ernstgemeintem Handeln überdeckt die Ich-Erzählerin aber auch ihr Schuldgefühl für den Tod der kleinen Schwester, in dessen Folge die Familie zerbrach. Erst spät kann Bet davon erzählen. Bets Sprudelsprache wirkt stark italienisch, aber ihre Grundfrage „Warum bin ich bloß so und nicht anders?“ ist allgemeiner Natur und konfrontiert Jugendliche mit existentiellen Problemen: Was macht die Gesellschaft mit mir? Was kann ich selbst machen? Bemerkenswert: Das italienische Außenministerium förderte die Übersetzung, unter Berlusconi undenkbar.

(Der Rote Elefant 33, 2015)