Schnipselgestrüpp
Illustration: Julia Friese
44 Seiten
ab 10 Jahren
€ 14,90

Das Cover grau wie raue Pappe, die Buchstaben ausgeschnitten und mit Klebestreifen nebeneinander gesetzt. Ein Junge, barfuß, ungekämmt, auf einem Stapel Zeitungen sitzend, schneidet etwas aus, eine Fliege ziert die Wand. Irritierende Bildsignale in einer (meist) kunterbunten Bilderbuchwelt!

Doch steht einem der Sinn nach einem Buch, das es gemeinsam mit Kindern zu entdecken gilt, das Fragen aufwirft, die kaum eindeutig zu beantworten sind und das eine Überprüfung des eigenen Lebensstils herausfordert, dann ist „Schnipselgestrüpp“ vom Künstlerduo Duda/Friese eine kluge Wahl. Aus unzähligen „Schnipseln“ entstand dieses Buch. Julia Friese fügte Dutzende Bleistiftzeichnungen und -skizzen, Zeitungsbilder und Acrylmalereien auf Folie am Computer zusammen. Auch in der Geschichte wird die Collage als bildkünstlerische Umsetzung einer Idee genutzt – und beeinflusst das Leben einer Familie: Vater, Mutter, Kind. Man schweigt sich an in einer schmucklosen Wohnung vor ständig plapperndem Fernseher – kein Teppich, keine Gardinen, die Kleidung kommt vom Amt. Den Boden des Kinderzimmers bedecken Zeitungen, die von draußen erzählen, von dem was ist und sein könnte. Mithilfe von Schere und Klebestreifen verwandelt der Junge daraus eine leere Wand in (s)eine eigene gewaltige, abenteuerliche Welt aus Bildern und Texten. So verwandelt er auch sich selbst, was letztlich sogar bei den Eltern Wirkung zeigt.

Was braucht ein Mensch, um glücklich zu sein? Nicht nur ein Dach über dem Kopf, Kleidung, Essen, Trinken, einen Fernseher – das ist abzulesen in den müden, enttäuschten Gesichtern der Eltern. Hier herrscht Armut und jeder weiß, ohne aktuelle Zahlen nennen zu müssen, dass diese in Deutschland steigt. Doch wie definiert man Armut und wer tut dies? Die Nachbarn, Klassenkameraden, die Medien? Was hierzulande gemeinhin als Armut gilt, wird woanders als Reichtum empfunden. Doch geht es in „Schnipselgestrüpp“ nicht allein um Materielles, die Geschichte könnte ebenso in einem wohl situierten Haushalt spielen. Erzählt wird auch von „Verarmung“ zwischenmenschlicher Beziehungen, von Gleichgültigkeit, Einsamkeit, Sprachlosigkeit als Begleiterscheinungen einer konsum- und medienbestimmten Gesellschaft.

Eltern wie Kinder lassen sich berieseln von einer Unterhaltungsmaschinerie, welche die Phantasie tötet und auf vorgegebene Bilder reduziert. Aber der Junge gibt nicht auf, sondern setzt Phantasie und Kreativität als (s)einen Ausweg aus dem sprachlosen Nebeneinander dagegen.

„Schnipselgestrüpp“ ist in seiner klaren gesellschaftskritischen Haltung ein Unikat auf dem Bilderbuchmarkt. Kindlicher Empathiefähigkeit sicher und gleichsam auf die Kraft der Phantasie setzend, kann die Auseinandersetzung mit der Problematik kreativ unterstützt werden: die Idee dazu steckt im Buch selbst.

(Der Rote Elefant 29, 2011)