Irgendwo gibt es sie immer noch: kleine Straßen, Nachbarschaften, deren Bewohner sich untereinander kennen, mal miteinander reden, Sorgen teilen und einen Treffpunkt haben, eine Kneipe, ein Café. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Christian Duda hat einen solchen Mikrokosmos erfunden, in dem die großen Weltdinge vorkommen, aber in kleinerem Maßstab. Eingeführt wird dieser so: „Die Lubitsch ist ziemlich in der Mitte Berlins. Zwischen großen Straßen eingeklemmt, die den Verkehr von außerhalb ins Zentrum leiten, übersieht man sie leicht. Nichts Wichtiges ist je in der Lubitsch passiert, drum steht hier auch kein Denkmal. Niemand Wichtiges lebt in der Lubitsch, nur Leute, die billig wohnen müssen, weil sie nicht viel Geld haben …“ Na ja, nicht alles ist erfunden, wie man dem Nachwort entnehmen kann, und ein kleines Denkmal schafft der Autor mit vorliegendem Buch selbst.
Im Mittelpunkt steht ein eigenwilliges Freundespaar, die dicke Elke, Erzieherin in einer Wohngruppe mit Jugendlichen, und der kleine, naseweise Kasimir, der noch in den Kindergarten geht. Um sie herum scharen sich weitere Personen, Kinder, wie die vorlaute Chantal, Eltern, wie Kasimirs alleinerziehender Vater, der alkoholkranke Nachbar, der Schulversager Serge, die resolute Kita-Erzieherin Marie oder der schwule Freund des Café-Betreibers Uwe. Die Botschaft ist: Nicht Ideologien sind wichtig, auch nicht Ossi-Wessi-Denkmuster, wichtig ist, dass alle sich gegenseitig respektieren und einander helfen, wenn Not am Mann ist. Die Probleme sind eher praktischer Natur. Z. B. steht das Zuckerverbot der Erzieherin dem Kuchengenuss von Kasimir entgegen. Lange diskutieren Kasimir und sein Vater darüber, wieso es Familien gibt, die ihren Kindern keine Fahrräder kaufen können. Zumindest keine neuen. Irgendwann ist Elke tot. Wahrscheinlich das Herz und eine zu spät behandelte Diabetes. Sie wird erst Tage später gefunden. Kurz vorher war sie noch im Taxi an Uwes Café vorbeigefahren und hatte gewusst, dass sich nichts ändern würde, wenn sie mal weg ist. Das Leben geht weiter.
Die Milieustudie wird von einem überschauenden Erzähler in einer Mischung aus Nähe und Distanz zum Geschehen, Ernsthaftigkeit und Humor geschildert, wobei sich manchmal ein paar unnötige Kommentare einschleichen, die etwas bevormundend wirken. Aber lesende Kinder können eine Menge über Menschen und ihre Beziehungen erfahren. Dabei dürfen sie sich ruhig manchmal über den kleinen Kasimir erhaben fühlen. Mit Sicherheit werden sie in vielen Szenen ihre eigenen Alltagsprobleme wiedererkennen.
(Der Rote Elefant 34, 2016)