Warum klappert die Mühle am rauschenden Bach?
Die Geschichte der Kinderlieder
Illustration: Tilman Michalski
77 Seiten
ab 6 Jahren
€ 16,90

„Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald“ – oder eher „… verliefen sich im Wald?“

Dass es nicht die „richtige“ Version eines Textes gibt, ist eine der Informationen über Entstehung, Verbreitung und Entwicklung von Liedern, die (nicht nur) von Kindern gesungen wurden bzw. werden. Christa Holtei hat 36 Beispiele ausgewählt, aber nicht nur das. Ihre kleine Geschichte der Kinderlieder weckt historisches Interesse, denn deren Entstehungsgeschichten sind in die jeweiligen gesellschaftlichen Hintergründe eingebettet. Von den Lebensbedingungen der Menschen wird ebenso erzählt wie von der sich langsam wandelnden Einstellung zu „Kindheit“. Bevor Ende des 18. Jh. die ersten eigens für Kinder geschriebenen Lieder entstanden, wurden ausschließlich Volkslieder gesungen, z.B. das bekannte „Ach du lieber Augustin“. Doch wer kennt schon alle fünf Strophen? Und weiß zudem, dass der Besungene ein Wiener Bänkelsänger namens Augustin Marx war, der das Wüten der Pest überlebte und damit vielen Menschen der Stadt Hoffnung spendete?

Der Rahmen erstreckt sich vom 12. Jh. („Du bist mein, ich bin dein“, vertont erst 1971) bis ins Jahr 2006 („Alle Kinder dieser Erde“). Aufgeteilt werden die Lieder in neun Kategorien, u.a. „Lieder aus dem Mittelalter“, „In Kirchen und auf Märkten“, „Frühling, Sommer, Herbst und Winter“, „Singen macht Spaß“, „Aus aller Welt“, was historische und thematische Überschneidungen impliziert. Jedes Lied wird auf einer Doppelseite präsentiert. Die linke Seite umfasst Erläuterungen (Entstehungszeit, Verbreitung, historische Hintergründe, Informationen zu Text, Musik, Dichter und Komponisten). Dabei wird auf sprachliche Besonderheiten, wie z. B. das Mittelhochdeutsche, regionale Einflüsse, Schwierigkeiten bei der Übersetzung fremdsprachiger Kinderlieder („Bruder Jacob“) ebenso eingegangen wie auf den Einfluss der modernen Medien bei der Verbreitung von Kinderliedern aller Art. (Kleiner Fehler: Gerhard Schönes „Jule wäscht sich nie“ wurde 1982 in der DDR, nicht erst 2007 veröffentlicht!) Auf der rechten Buchseite sind die Noten (inklusive Gitarrengriffe) und alle Strophen, z. T. auch Textvarianten, abgedruckt. Die zartfarbigen Zeichnungen von Tilman Michalski illustrieren nicht nur die Liedtexte, sondern gehen auf assoziative Weise mit deren Inhalten um. Nach einem Alphabetischen Liedverzeichnis endet das Buch humorvoll mit dem Gedicht „Hänsel und Knödel“ von Michael Ende, was prompt zum Singen zur altbekannten Melodie verführt. Ein sorgfältig gemachtes Hausbuch zur musisch-ästhetischen Bildung und Erziehung, das Groß und Klein zum Lesen, Erzählen, Singen und Musizieren einlädt und gleichermaßen in jeden Kindergarten und jeden Musikunterricht gehört.

(Der Rote Elefant 28, 2010)