„Wazn teez? – Mi nanüt. – Keksn allwiezi Izzi.“ – Waldinsektensprache. Wer sie versteht, ist klar im Vorteil, alle anderen können sie mit diesem Buch erlernen. Zarte Geschöpfe, ausstaffiert mit Gehstock, Handtasche oder einem originellen Hutmodell, entdecken einen unbekannten Keimling am Waldboden und verfolgen dessen Wachstum. Immer mehr Tiere werden auf die Pflanze aufmerksam, die sich im Laufe der Geschichte zu einer großen Blume mit rot und lila leuchtender Blüte entwickelt. Wie es die Natur vorgibt, erlischt deren Blütenpracht im Herbst. Der Winter geht vorbei und am Ende dieses fröhlichen Buches überrascht ein neues „Wazn teez?“. Jetzt lockt nicht mehr nur ein einzelner Sprössling sondern eine Vielzahl grüner Halme die neugierigen Krabbeltiere an.
Auffällig ist die auf Braun-, Rot- und Grüntöne reduzierte Farbgebung in der Illustration sowie die filigrane Tierdarstellung. Der Bildhintergrund ist radikal weiß für den Tag bzw. monoton dunkelblau für die Nacht gehalten. Auf jeder linken Buchseite liegt immer der gleiche dicke Baumstamm, während mehr und mehr Tiere auf den rechten Buchseiten um die wachsende Blume herumwuseln und so eigene kleine Geschichten erzählt werden. Durch das Zusammenspiel von Kindern Bekanntem (Jahreszeitenwechsel) und ästhetisch Verfremdetem (Tierdarstellung und fiktive Sprache) kann der klassische Stoff vom Kreislauf der Natur mit großer Freude neu gelesen werden. Eigentlich erzählt sich die Geschichte ohne Worte, aber das Besondere bzw. die Stärke dieses Bilderbuches ergibt sich erst aus der Kombination der mit Wasserfarben gemalten Bilder und der irritierend-lautmalerischen Sprache; eine Herausforderung für die Übersetzung, die von Jochimsen und Schöne überzeugend gelöst wurde. So wie die Tiere die Pflanze mit Neugierde betrachten, motivieren die Phantasieworte, nach einer Bedeutung zu suchen. Sätze wie „Wazn teez“ verweisen sinngemäß auf „Was ist denn das?“. Aber so einfach bleibt es nicht – denn der Ausruf: „Keksn allwiezi Izzi“ lässt weit mehr Übersetzungsspielarten zu. Das Bilderbuch bietet einen spielerischen Umgang mit Sprache und trifft den Witz und Spaß an Wortexperimenten und Buchstabenquatsch von Vorschulkindern. Es regt an, eine eigene Phantasiesprache zu den Bildern zu entwickeln oder durch das Vorlesen der Nonsens-Tiersprache eigene Geschichten zu erfinden – vielleicht von einer Blume wie der Frauenschuh-Orchidee, vielleicht aber auch von „Keks(e)n“. Einen musikalischen Impuls bietet zudem die mit Noten angedeutete Melodie, welche die Grille bei Nacht ihrer Geige entlockt. Wie könnte sie klingen, welches (Liebes-)Lied mag die Grille spielen.
(Der Rote Elefant 35, 2017)