Die Tode meiner Mutter
Illustration: Carla Haslbauer
48 Seiten
ab 5 Jahren
€ 15,00

„Meine Mutter spielt viele Rollen. Jeden Tag ist sie jemand anderes. Man kann nie wissen, wer sie morgen sein wird.“ Die neue Nachbarin klingelt an der Tür, weil ungewöhnliche Töne aus der Wohnung dringen. Sie weiß noch nicht, dass die Mutter der Ich-Erzählerin Opernsängerin ist. Immer wieder erlebt die Tochter, wie die kostümierte Mutter auf den Brettern, die die Welt bedeuten, stirbt. Natürlich „nicht in echt“, aber sie erlebt die Tode der Mutter so intensiv wie andere im Zuschauerraum. Da die Mutter stets besonders schön stirbt, bekommt sie am Ende der Vorstellung häufig Blumen. Ein bisschen merkwürdig ist der Beruf der Mutter schon, aber meist ist sie eine ganz normale Mama.

Das in Text und Bild überzeugende Debüt von Carla Haslbauer basiert auf autobiografischen Erinnerungen. Schräge Töne, Verkleidungen und Rollenspiele gehörten zur Kindheit der Künstlerin und bestimmen auch den Alltag ihrer Ich-Erzählerin und deren kleinem Bruder. Ist die Mutter arbeiten, spielen die Geschwister eigene Stücke, verkleiden sich und ihr Zimmer wird zur Bühne. Die lakonischen Texte der Heldin am Rand der mit Aquarellfarben und Buntstiften detailreich-turbulent gestalteten Doppelseiten wirken wie Ruhepunkte in den z. T. comicartigen Illustrationen. Spricht das Kind von den vielen Rollen, die die Mutter spielt, zeigen Comic-Flecken wie sie mit den Kindern tobt, am Kaffeetisch telefoniert, sich einen Bart schminkt oder elegant gekleidet spazieren geht, wobei kleine Sprechblasen-Dialoge die Ich-Perspektive erweitern. So kommt auch die Mutter zu Wort und eine liebevolle Mutter-Kind-Beziehung wird deutlich. Dass sich in der kindlichen Wahrnehmung Opern- und Alltagswelt überlagern, vermitteln die Dielen zu Hause, die dem Bretterboden im Theater auffällig gleichen oder bestimmte Utensilien, die sich in gemütlicher Unordnung durch beide Welten bzw. das ganze Buch ziehen: Notenblätter, Spiegel, Blumen, Stimmgabel, Kostüme, Schuhe, Stoffhase, Stifte …, gedoppelt in den Zeichnungen der Heldin. Dass „Oper“ von dramatischen Gesten und lautem Gesang lebt, setzt die Illustratorin über veränderte Proportionen, Verzerrungen oder farbsymbolisch um. Dazu gehören Licht-Schatten- bzw. Rot-Schwarz-Kontraste oder ausgebeulte Großbuchstaben für Koloraturübungen der Mutter, bei denen die irritierte Tochter angstvoll die Augen zukneift oder die Bettdecke über das schmerzverzerrte Gesicht zieht.

Vor einer Buchvorstellung könnten „Berufe der Eltern“ und „Rollenspiel“ verknüpft werden. Auf improvisierter Bühne mit rotem Vorhang machen die Kinder typische Gesten für die Berufe ihrer Eltern. Die Zuschauerkinder raten … Sind lebensgefährliche Berufe darunter? Im Anschluss würde das Cover präsentiert. Was hat es mit den roten und schwarzen Stoffbahnen auf sich und was könnte der Titel bedeuten? Hilfreich wäre der Vorsatz: Innerhalb einer roten Fläche erscheint rechts unten in einem Spalt ein winziges Mädchen. Welchen Beruf könnte dessen Mutter haben?

(Der Rote Elefant 39, 2021)