Cover: Blexbolex; Ein Märchen
Ein Märchen
Text: Blexbolex
Illustration: Blexbolex
Aus dem Französischen von Edmund Jacoby
240 Seiten
ab 6 Jahren
€ 19,95

Dieses Bilderbuch spielt gelungen mit Text und Bild, mit Wirklichkeit und Phantasie, mit Schein und Sein, mit Erwartung und Überraschung. Der französische Künstler Bernard Granger (Blexbolex) erzählt (k)ein Märchen, denn eigentlich verrät er, aus welchem Stoff er Geschichten webt: Bilder, die wie Siebdrucke aussehen, und Wörter, die handgeschrieben anmuten. Beides ist Resultat seiner kreativen künstlerischen Computerarbeit. Sein Märchen steigert er über sieben(!) Kapitel zu einer furiosen Abenteuererzählung, an deren Ende die entführte Königin glückliche Rettung erfährt. Jedes Kapitel wird von einem Text eröffnet, der den Lesenden und Schauenden einbezieht und die kommende Bildfolge zusammenfasst. Zudem provoziert der Text und lenkt den Blick des (Vor)Lesers und Betrachters. „Die Blumen und Insekten am Wegesrand beachten wir kaum.“ Unter jedem ganzseitigen Bild steht ein Titel aus zwei Wörtern, die beschreiben, bezeichnen, charakterisieren oder ironisieren. Alles beginnt scheinbar realistisch: „Die Schule, der Weg, das Zuhause“. Diese drei Orte bilden die verlässlichen Koordinaten, zwischen denen sich phantastische Räume auftun. In ihnen agieren zauberhafte Helden und Antihelden. Der Fremde, zwei Räuber, die Hexe, die Königin, die Soldaten, der Finstere – bekannt aus Märchen, Kriminal- oder Fantasyroman. Von Kapitel zu Kapitel wachsen Textmenge und Bildanzahl, steigert sich das dramatische Geschehen bis zur fulminanten Unübersichtlichkeit. Hintergründe aus verschieden dunkel gefärbten, übereinander geschobenen Folien erzeugen geheimnisvolle Stimmungen. Traten Retter und Gerettete eben noch leuchtend gefärbt auf, entschwinden sie auf der gegenüberliegenden Seite in matten Tönen, da ein Unwetter hereinbricht, das sich auf der Seite als unheilbringender Zauber erweist … Rückblättern ist immer wieder angesagt, um Muster zu entdecken, Fäden wieder aufzunehmen oder Verwirrungen aufzulösen. Schließlich wird alles gut. Oder? Augenzwinkernd lässt unser geschickter Märchenerzähler auf der allerletzten Seite einen Räuber den anderen von Kugel und Kette befreien! Es könnte also wieder von vorn beginnen? Jeder kann das Geschichtenerfinden-Spiel weitertreiben. Einzige Bedingung: Wer Neues erfindet, muss schon Ges(ch)ehenes nutzen. Dazu kann der sehr schöne Vor- und Nachsatz dienen. Dort sind jeweils 21 Orte, Figuren oder Gegenstände einfarbig abgebildet, die auch im Buch auftauchen. Sie könnten (in Form von Bildkarten) Ideengeber beim Erfinden einer Geschichte sein, gern auch eines Märchens.

(Der Rote Elefant 32, 2014)