Der Band versammelt acht Erzählungen über 12- bis 15jährige Jugendliche, die hierzulande aufwachsen. Ihre Milieus sind Plattenbauten oder Villen, Abriss- oder Reihenhäuser. Ihre Schicksale sind unterschiedlich hart, aber in jedem Fall von Lieblosigkeit, Überforderung, Einsamkeit und Gewalt im Elternhaus geprägt.
Die Autorin, vom Verlag dazu beauftragt, hat mit Hilfe von Mitarbeitern der „Arche“ gründlich recherchiert, genau hingesehen und zugehört. Ist bereits verdienstvoll, dass ihr Buch Benachteiligten eine Stimme gibt, besteht ihre literarische Leistung darin, aus dem authentischen Material fiktive Geschichten geformt zu haben, die tatsächlich ‚echt‘ wirken (s. Untertitel). Letzteres gelingt Dölling sowohl dramaturgisch als auch psychologisch und sprachlich.
Alle Plots, teils mit Rückblenden angereichert, zeigen Ausschnitte im Leben der Heranwachsenden, in denen niederschmetternde Ereignisse auf einen ‚Höhepunkt‘ zulaufen. So erfährt die um Zuneigung ringende Lilly zufällig, dass ihre Mutter sie allein zurücklassen will, wenn sie mit einem neuen Partner aufs Land zieht. Anhand figuraler Erzählperspektiven – einmal auch Ich-Perspektive in Tagebuchform – wird das Innere der Protagonisten spürbar. Etwa das von Tim, den seine Tagträume aus täglich erlebter Armut herausführen, oder von Pearl, die der Verlust ihrer Hunde nach einem Angriff auf den Freund ihrer Mutter, der ihre kleinen Geschwister missbraucht, weit mehr schmerzt als der Verlust des Elternhauses. Eindrückliche Bilder vertiefen die Nachvollziehbarkeit von Empfindungen. So steht die Giftschlange aus dem Dschungel im Fiebertraum eines schwarzen Jungen für unerträglichen Erwartungsdruck seitens der Eltern. Stimmige Details in den Milieuschilderungen betreffen nicht zuletzt den darin vorherrschenden Sprachgebrauch. Wortwahl und Reduktionen – am erschreckendsten bei der Tochter eines aus Gewohnheit prügelnden Vaters in „Promme chillen“ – spiegeln geistige und emotionale Verwahrlosung wider. Da die aufrüttelnden Geschichten, für die Autorin wohl nicht weniger als für Leser, schwer auszuhalten sind, ist in jede ein Hoffnungszeichen eingebaut: mal ein kluger, verständnisvoller Lehrer, mal eine einfühlsame Polizistin; nur die „Arche“ selbst als Ort der Rettung macht eher den Eindruck eines Notbehelfs. So fragen denn die Herausgeber des Bandes nicht nach gesellschaftlichen Hintergründen für Entstehung und Notwendigkeit ihrer Einrichtung(en).
(Der Rote Elefant 32, 2014)