Cover: Astrid Frank, Unsichtbare Wunden
Unsichtbare Wunden
288 Seiten
ab 12 Jahren
€ 15,90

„Manchmal wünsche ich mir, sie würden mich schlagen [damit jemand eingreift]. Sie zerstören mich von innen heraus. Und niemand bekommt es mit“, schreibt die 14-jährige Anna in ihr Tagebuch. Einen Monat später ist sie tot. Aus Angst vor Mitschülern rennt sie vor ein Auto. Der Grund der Hetze? Neid auf die hübsche, gutsituierte Anna, die sich überdies auch noch für den gemobbten Kumpel Anton einsetzt. Annas alleinerziehender, verwitweter Vater Simon erfährt vom Mobbing der Tochter erst aus dem Tagebuch. Als die Polizei eine Anzeige verweigert, entführt Simon die kleine Schwester eines Peinigers. Anton verhindert Schlimmeres. Der Hinterbliebenenschmerz bleibt, ebenso wie die Schuldfrage, denn Mobbing ist hierzulande keine Straftat. Antons Eingreifen in die Entführung zeigt den Lesern jedoch, dass niemand machtlos ist.

Annas Tagebucheinträge über 19 Monate (kursiv gedruckt) und das datierte, einen Monat dauernde Geschehen nach Annas Tod sind literarisch verzahnt. Einander gegenübergestellt werden Auswirkungen des Mobbings auf Anna und Reaktionen auf ihren Tod aus der Perspektive von Simon und Anton. Aus Annas Lebensbejahung wurden Selbstzweifel, dann Selbsthass bis hin zu Suizidgedanken. Sie reagiert mit Zittern und Übelkeit auf bösartige SMS oder das Finden benutzter Binden im Rucksack. Später schrubbt sie sich ihre Haut kaputt, damit keiner mehr sagt, sie stinke. Sie fügt sich Schläge und Schnitte zu, um überhaupt noch etwas zu fühlen: „Mich kaputtmachen, bis ich nicht mehr da bin. Dann braucht sich keiner mehr mit mir abgeben. Auch ich nicht.“ Ihr großherziger Vater Simon beginnt aus Trauer, Hass und Scham vor dem eigenen Versagen zu trinken und wird gemieden. Der sich ebenfalls schuldig fühlende Anton beobachtet bei Mitschülern Verdrängung, Heuchelei und Scham. Die Lehrerin dagegen, an die er sich hilfesuchend gewandt hatte, reagiert mit Ignoranz. Psychologisch glaubhaft gezeichnete Charaktere und detailliert beschriebene Vorgänge fügen sich zu einem beklemmend realistisch-zeitlosen Bild über Leidensdruck bzw. Achtlosigkeit und Gewalt innerhalb gruppendynamischer Prozesse.

Die wichtigste Frage bleibt unbeantwortet – auch im Epilog an Annas 1. Todestag, als Anton einer neuen Freundin gegenüber die Ereignisse reflektiert: Wie kann man Mobbing verhindern? Die Autorin referiert dazu für Eltern, Lehrer, Klassen. Ihr wichtiger Roman wird vom „Mobbing Help Desk“ empfohlen und fordert zum Hinsehen und Handeln auf.

(Der Rote Elefant 34, 2016)