Ein mächtiger Baum mit dickem Stamm, kräftigen Wurzeln, Ästen und Blättern ist der grafische Mittelpunkt des Buches und der Schauplatz des Geschehens. Auf den Baum klettern Tiere: 1 Ameise, 2 Echsen, 3 Ratten … und schließlich noch 10 Elefanten. Die jeweils neuen Tiere haben eine Farbe, während die schon anwesenden in Schwarz-Weiß wechseln und sich im Baum verstecken. Sie können ihre Form verändern, sich den anderen angleichen und sie wechseln ihre Positionen, so wie auch der Baum sich verändert, neue Äste für neue Besucher entwickelt. Die eigentlichen Bewohner der Bäume, die Vögel, bleiben draußen. Allerdings haben sie auf dem Titelblatt und auf einer der Geschichte nachgestellten Seite ihre Stammplätze auf den unteren Ästen eingenommen.
Will man es ganz einfach haben, so wie der Klappentext es anbietet, handelt es sich um ein Zähl- und Suchspiel, bei dem schon kleine Kinder mit dem Finger bestimmte Tiere auf den einzelnen Seiten aufspüren und sie immer wieder nachzählen können. Aber es gibt auch eine symbolische Ebene, auf der die Geschichte zu einer Parabel über die Welt und ihre vielgestaltigen Bewohner wird, die alle ihren Platz finden sollen. „Ob der Baum das schafft? Klar, Bäume haben Kraft.“ Damit greifen die Autorinnen die Idee des Weltenbaumes auf, der in vielen Ursprungsmythen eine Rolle spielt. Der nicht übersetzbare Originaltitel „One, two, tree“ verweist einerseits auf die Aussprache des –th- im Pidgin-English, vielleicht sogar auf die Argumente der Sprachforscher zum Zusammenhang des Indo-Europäischen, bei denen ausgerechnet ein Wort für „Baum“ eine zentrale Rolle spielt.
Die grafische Gestaltung mit Federzeichnung und Pinsel greift formal auf Wandmalereien der indischen Volksgruppe der Gond zurück, wie im Nachwort erläutert wird. Sie ist ebenso einfach wie komplex, indem die zunächst ähnlich aussehenden Bilder ständig neu arrangiert werden. Kinder könnten einen gezeichneten Baum selbst bevölkern, auch als „Stammbaum“ mit den eigenen Vorfahren.
(Der Rote Elefant 25, 2007)