Cover: Anna Kuschnarowa; Kinshasa Dreams

Kurz vor dem Kampf, der vielleicht über seine Karriere entscheidet, gibt Jengo Lobomba, 24, Schwergewichtsboxer, einem Reporter ein Interview. Die Fragen nach seinem Lebenslauf, seiner Kindheit in der Demokratischen Republik Kongo, dem ehemaligen Zaire, lassen die Bilder der Vergangenheit in ihm aufsteigen. Die Großmutter, die ihn als Hexenkind verwünschte, der Vater, der manchmal mit Geschenken und Geld aus seinen dunklen Geschäften auftauchte, die schöne Mutter, die sich irgendwann nach Europa absetzte. Beeindruckt hat Jengo nur der Großvater, der ihn immer beschützte und ihn einmal in das inzwischen heruntergekommene Stadion mitnahm, in dem Muhammad Ali 1974 den Revanchekampf gegen George Foreman gewann, Ali, „le Plus Grand“. Danach will Jengo nur noch Boxer werden. Bis dahin vergehen viele Jahre, die ihn im Frachtraum eines Flugzeugs, auf überfülltem Lastwagen, in einem kaum seetüchtigen Fischerboot nach Ägypten, nach Libyen und schließlich nach Frankreich führen. Doch auch dort lebt er als Illegaler, der jederzeit abgeschoben werden kann.

Die Autorin erspart ihrem Helden keine Niederlage, keine Selbstzweifel. „Es fühlte sich beschissen an. Total beschissen. Was tat ich da eigentlich?“ Er wird konfrontiert mit Hexenglauben und Voodookult, mit kongolesischer Kolonialgeschichte, „der Schreckensherrschaft der Belgier“, mit ethnischen und sozialen Konflikten, islamistischen Koranschulen und dann der Brutalität des Boxgeschäftes. Aber „wenn man den Weg verliert, lernt man ihn kennen“, lautet ein Sprichwort der Tuareg. Für viele Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa sind die geschilderten extremen Situationen Realität. Das wissen jugendliche Leser, wenn sie Zeitung lesen oder sich an Fernsehbilder erinnern. Und welche Stationen gab es in der europäischen Kolonialgeschichte? Wer waren Leopold II., Lumumba, Kabila, Mobutu? Und wer war Cassius Clay alias Muhammad Ali, Jengos Vorbild?

(Der Rote Elefant 31, 2013)