Atlas der Meerjungfrauen
Wasserwesen aus aller Welt
Illustration: Miren Asiain Lora
Aus dem Englischen von Lisa Heilig
48 Seiten
ab 8 Jahren
€ 18,00

Um sich Natur-Erscheinungen zu erklären, erzählten sich Menschen von je her Geschichten: überall auf der Welt, in allen Kulturen. Und so bevölkerten sie  das Element Wasser mit Selkies, Nixen, Fischmännern, Wasserhexen, Meerjungfrauen, Flussgöttinnen u. a. Je nach realen Erfahrungen beschützten diese mal die Seefahrer wie Nyai Roro Kidul, die Göttin des Südmeeres, die auf Java verehrt wird, oder brachten Zerstörung über die Menschen wie der Nixenstamm der Iara in Brasilien. Laut Schöpfungsmythos aus Mali waren es sogar die amphibienartigen Nommos, die das Meer überhaupt erst erschufen. Da Mischwesen den Übergang vom Leben im Wasser zum Leben auf dem Land und später zum Menschsein symbolisieren, lebten Meerwesen zeitweise in Menschenfamilien oder sehnten sich danach. So die ausgesprochen freundlichen chinesischen Jiaoren, deren Webkünste legendär sind.

Mit ihrer Gemeinschaftsarbeit unternehmen Anna Claybourne und Miren Asiain Lora eine interkulturelle Reise durch imaginierte Unterwasserwelten. Sechs Kapitel führen zu fünf Kontinenten, wobei Nord- und Südamerika für sich stehen. In einer Landkarte je Kontinent sind die dort ‚heimischen‘ Wasserwesen zeichnerisch verortet, ergänzt durch die Beschreibung landschaftlicher Besonderheiten und kulturspezifischer ‚Umgangsweisen‘ mit den ‚Wesen‘. Zwischen den Kapiteln offenbart je eine Doppelseite ‚Fakten‘ zu einem Aspekt der ‚Spezies‘, wobei diese im Erzählton z. T. ironisch daherkommen und zurückhaltend in Schwarz/Weiß/Grau aquarelliert sind. So z. B. die ‚Meerjungfrauensichtungen‘ von 1608 bis heute oder eine Auflistung möglicher Verwechslungen, etwa mit koreanischen Apnoe-Taucherinnen. Aquarelle in meist Grün- und Türkistönen mit silbrig-leuchtenden Akzenten illustrieren die eigentlichen Sagen- und Legenden-Kapitel, wobei die mit flüchtigem und doch ausdrucksstark wirkendem Pinselstrich ausgeführten Vignetten und Szenen die sprachlich überzeugenden Texte atmosphärisch begleiten. Von besonderem Schauwert ist dabei die Vielfalt der Wasserwesen: mit schuppigen Fischschwänzen, schlangenhaftem Unterleib, Entenfüßen, reptilienartiger Haut oder auch Körpern, halb Mensch halb Hai. Manche sind mit einem Schwert bewaffnet, andere tragen Musikinstrumente.

Zum Einstieg wären Wassergeräusche zu hören. Welche realen bzw. Fantasie-Wesen leben im gehörten Element? Meereswesen-Bildkarten, präsentiert auf blauem Tuch, würden zum Gespräch über den jeweiligen Charakter der dargestellten Wesen anregen. Diese können dann im „Atlas der Meerjungfrauen“ gesucht und die Vermutungen mit den „Sach“-Texten abgeglichen werden. Dabei kämen kulturelle Besonderheiten sowie Interkulturelles gleichsam zur Sprache.

(Der Rote Elefant 39, 2021)