Andreas Steinhöfel beendet mit „Rico, Oskar und der Diebstahlstein“ seine Krimi-Trilogie, die gleichzeitig eine differenzierte Sicht auf Gesellschaft und die Entwicklung zweier Freunde liefert. Trotz oder gerade wegen ihres „Andersseins“ scheinen Rico und Oskar füreinander bestimmt. Einander stärkend, stellen sie sich eigenen und emotionalen Konflikten ihrer Bezugspersonen, aber auch sozialen Problemen.
Während der „hochbegabte“ Oskar am depressiven Vater leidet, springt beim „tiefbegabten“ Rico aufgrund eines buchstäblich schweren Erbes die Bingotrommel im Kopf wieder an: Suffkopp Fitzke aus dem 4. Stock ist gestorben und hat Rico seine Steinsammlung vermacht. Als der Kalbstein, Fitzkes einziger Zuchterfolg und ganzer Stolz, verschwindet, verfolgen die Freunde die mutmaßliche Diebin bis auf den Darß. Allerdings haben sie dafür verschiedene Motive, wodurch ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt wird: Rico will den Stein zurück, Oskar seinem Vater eine Lektion erteilen. Als es gefährlich wird, tauchen glücklicherweise weitere Bewohner aus der Kreuzberger Dieffe(nbachstraße) 93 – Ricos und Oskars Mikrokosmos – am Strand auf und stehen ihnen bei. Zurück in Berlin kann selbst Oskars Vater beweisen, was in ihm steckt und ein besonderer Stein findet seinen Platz …
Trotz einzeln gelöster Kriminalfälle bilden die drei Bände eine Einheit, an deren Ende die Helden wesentlich stärker geworden sind und von ihren treuen Lesern guten Herzens entlassen werden können. Besonders Rico ist „weiter gekommen“: von der Dieffe bis auf den Darß! Der Autor nimmt seine Figuren trotz Situationskomik sehr ernst und vermittelt Vertrauen in die Kraft der persönlich-gemeinschaftlichen Entwicklung. Rico beschreibt in seinem Tagebuch die ihn umgebende – keineswegs heile – Welt naiv-schelmenhaft und mit Empathie, wobei er Abgründe durchaus erkennt und benennt. Alle Bände sind eine Fundgrube kreativer Wortschöpfungen und Metaphern, origineller Auslegungen bzw. Erweiterungen von Redewendungen und Sprichwörtern, vermerkt auf Wortkärtchen. Ricos eigenwillige Sicht prägt auch den Umgang mit philosophischen Themen wie Vergänglichkeit und Erinnerung. Was bleibt von Fitzke? Waren ihm tote Steine wichtiger als die eigene Tochter? Was ist mit all den Menschen, die schon in der Dieffe 93 gewohnt haben? „Wenn die alle auf einmal da wären, wäre die Schlange zur Toilette ziemlich lang …“, meint Rico.
Fitzkes Steine haben leitmotivischen Charakter. Somit könnte ein Stein als Bucheinstieg dienen. Er geht von Hand zu Hand. Was verbinden die Kinder damit? Figurenbezogene Zitate zu Fitzkes Steinen führen dann direkt in die Turbulenzen rund um den Diebstahlstein.
(Der Rote Elefant 30, 2012)