Cover: Andrea Badey; Claudia Kühn, Strom auf der Tapete

An seinem 16. Geburtstag entdeckt Ron Robert Ranke zufällig ein Foto, das seine Mutter Peggy als einstige „Königin aus Letschow“ zeigt. Jetzt will er endlich wissen, wer sein Vater ist! Peggy wartet, anstatt zu antworten, mit Schneewittchen auf, einem geliehenen weißen Cabrio mit roten Sitzen und schwarzen Armaturen. Mit dem macht Ron sich planlos auf den Weg ins Oderbruch – im Schlepptau seine Mitschülerin Clara, die im Rollstuhl sitzt, aus Erfahrungen mit einem Auto-Computerspiel seine Fahrerei aber zu dirigieren versteht. Nach einem Abstecher in Claras Elternhaus und einem Umweg ihr zuliebe gelangen beide tatsächlich nach Letschow, wo gerade wieder eine Oderbruchkönigin gekürt werden soll. Im Juror seinen Vater vermutend, verliert Ron jeglichen Halt und sprengt die Misswahl. Zwar ist der „Cowboy-Ronni“ dann wohl doch nicht der Gesuchte, dafür lernt Ron Robert den Rankehof und seine Großeltern kennen.

Die Autorinnen kennen sich offensichtlich mit in letzter Zeit erfolgreichen Kinder- und Jugendbüchern aus. Figurenkonstellation und Plot ihres turbulenten Roadmovies erinnern an Herrndorfs „Tschick“ und Rons Inneres – eine Uhr, die Gefühlszustände anzeigt, und ein mit Kaulquappen gefüllter Gedankenteich – lässt an die Bingo-Kugeln im Kopf von Steinhöfels „Rico“ denken. Doch ist beiden zusammen gelungen, eine ganz eigene Geschichte zu schreiben. Literarisch unentdeckt und – an Klischees vorbei – genau eingefangen, wirkt das örtliche Flair: Rons vernachlässigtes Plattenbau-Zuhause und Claras Schlaraffenland in der „Reichen-Gegend“ von Frankfurt (Oder), der altmodische Tanzsaal einer Dorfgaststätte und ein einsamer, baufälliger Hof in weiter, angeblich von Wölfen aufgesuchter Landschaft. Vor allem aber sind es die originellen Protagonisten samt skurriler Nebenfiguren, aus denen heraus der Roman ‚lebt‘. Ich-Erzähler Ron ist ein lebenspraktischer, mitfühlender und grüblerischer Mensch; lebenshungrig und eine Suchende trotz vermeintlicher Zielstrebigkeit auch Clara. Der unverblümte Umgang zweier Einzelgänger miteinander (inklusive ihrer schweigsamen Momente), umgesetzt in schnoddrige Dialoge und einer zugleich poetisch-bildreichen Erzählersprache (s. Titel) machen die Lektüre zu einem außerordentlichen Vergnügen. HörCompany hat bereits ein Hörbuch produziert. Ein zweiter Band und vielleicht sogar ein Jugendfilm wären zu erwarten.

(Der Rote Elefant 35, 2017)