Roter Elefant

Die 17-jährige Maserati schmeißt die Schule, um ihrer dementen Oma in einer Landgaststätte zu helfen. Verlassen von der Mutter sucht sie Schutz in der ländlichen Öde und kapselt sich von Kommunikations- und Informationsmedien ab. Ihr Lebenskonstrukt gerät ins Wanken, als eine reiche Familie eine Villa im Dorf kauft. Während der charmante Sohn Caspar um sie wirbt, versucht dessen stiller und überbehüteter Cousin Theo zu ergründen, warum Maserati der Sängerin auf einem uralten Plattencover seiner Lieblingsband zum Verwechseln ähnelt und auch namentlich in einem Song vorkommt: „I’ll leave you with nothing but my Maserati“. Nach anfänglicher Distanz freunden sich die Jugendlichen an, stellen sich gemeinsam ihren Ängsten, entdecken Familienverstrickungen und fassen Mut für ein selbstbestimmtes Leben, was laut Maserati bedeutet: „Manches muss man einfach so lassen … Ungeklärt, mit Lücken. Was … für eine nervige Angewohnheit, alle Geheimnisse aufdecken zu müssen?“

Letzterem Credo entspricht die Erzählweise des neuen Jugendromans von Alina Bronsky, worin sie sich einer personalen Erzählinstanz bedient, die sie an die Perspektive Maseratis bindet. Entgegen der Luxus-Bedeutung des Namens charakterisiert Bronsky ihre Heldin als völlig unprätentiös, was sich auch darin zeigt, dass Caspars nervige Wortspiele, der Maserati mit anderen Autonamen anspricht, uneitel ins Leere laufen. Gemäß dem Ungeklärten und Lückenhaften arbeitet Bronsky mit häufigen Erzählsprüngen, die dem Text einen ganz eigenen Rhythmus verleihen und einen Lese-Sog erzeugen. Jedoch verlangt diese Art des Erzählens samt eingestreuter Andeutungen, die nicht aufgelöst werden, Leser*innen, die sich auf eine solche Offenheit in Inhalt und Form einlassen können. So bleibt z. B. offen, was konkret an den Skandalen um Maseratis Mutter dran ist, die in die Klatschpresse als „Horrormutter“ einging. Deren kindeswohlgefährdendes Verhalten scheint jedoch für die schicksalshaften Verbindungen innerhalb der Romanfiguren verantwortlich zu sein. Denn wie in früheren Büchern offeriert Bronsky auch hier ein Tableau verletzter Figuren, deren Geschichten auf subtile Weise miteinander verknüpft sind. Nachvollziehbar wird, wie jede Familie sich ihren Problemen stellen muss und dass die jugendlichen Figuren mit dem Elternerbe leben müssen. Rezeptionsstrategisch klug und gestalterisch einfühlsam verflicht Bronsky dabei die Selbstklärung und den Wunsch der Figuren nach Unabhängigkeit mit der aufkeimenden Liebe zwischen Caspar und Maserati so, dass dieser Erzählstrang dem Lebensgefühl und der Lebenserfahrung Jugendlicher ausgesprochen nahekommt.

(Der Rote Elefant 40, 2022)