Flüchtig und kostbar ist jeder Augenblick, einmalig und unwiederbringlich – kaum da, ist er schon wieder entschwunden. Das Bilderbuch „Jetzt“ zeigt 38 Augenblicke aus dem Leben eines kleinen Jungen. »Jetzt ist es Morgen und Papa badet mich. Jetzt bringt mich mein großer Bruder in den Kindergarten. Jetzt male ich ein Schiff, das allen Angst macht. Jetzt stellt uns Tante Samia ihren Freund vor. Jetzt ist die erste Frühlingsblume da.«

Auf jeder Buchseite ist ein Augenblick festgehalten – durch ein Bild und einen Satz im Präsens, der mit „Jetzt“ beginnt. Es sind Momente aus der Erlebniswelt des Kindes: das Spielen im Kindergarten, die Natur, der häusliche und familiäre Alltag. Doch die Abfolge der Bilder und Sätze ist nicht willkürlich – nach und nach entstehen Abläufe, wird ein Vorher und Nachher, werden Entwicklungen sichtbar und viele kleine Geschichten erzählt – aus Mosaiksteinchen entsteht ein Gesamtbild – das Phänomen „Zeit“ auf poetische Weise spiegelnd. Dabei gelingt es Alain Serres und Olivier Tallec, Bild und Text miteinander zu verweben und sie in unterschiedlichste Beziehungen zueinander treten zu lassen. So ergibt sich nicht nur der Tagesablauf des Jungen, sondern vergehen auch die Jahreszeiten, ein Baby wächst im Bauch von Tante Samia und wird geboren und auch der kleine Junge selbst wird größer und selbstbewusster: „Jetzt bade ich ganz allein.“

Das Buch bietet zahlreiche Gesprächsanlässe und lässt Kindern Raum für Entdeckungen. Gleichzeitig plädiert es erwachsenen Betrachtern gegenüber, sich den kindlich-unvermittelten Blick auf das Hier und Jetzt zu bewahren bzw. wiederzuentdecken – und mit ihm die kleinen Wunder des Lebens. Tallecs Bleistift-Tusche-Zeichnungen und Collagen folgen einem farblichen Konzept, das es den Kindern erleichtert, die Geschichten zu entdecken. So sind die Seiten, auf denen Tante Samia auftaucht, ausschließlich in Weiß und Orangetönen gehalten, das Werden und Vergehen des Schmetterlings jedoch in Weiß, Braun und Gelb. Auch zwischen scheinbar voneinander unabhängigen Seiten entstehen Zusammenhänge, z. B. formale: So ähnelt die Form des zum Schrei geöffneten Mundes des Jungen beim Betrachten des Rotkäppchen-Buches der Krümmung des Baggerschaufelarmes auf der gegenüberliegenden Seite. Gemeinsam kann ein eigenes „Jetzt“-Buch entstehen – entweder in der Kita-Gruppe oder zu Hause. Wichtige Momente im Leben der Kinder werden festgehalten – gemalt, gezeichnet, geklebt – und das über einen längeren Zeitraum hinweg.

(Der Rote Elefant 27, 2009)