Bilderbuch
44 Seiten
ab 5 Jahren
€ 24,00

1945 entsteht in der Zurückgezogenheit eines Häuschens in Berlin-Heiligensee dieses Bilderbuch. Hannah Höch (1889-1978) überstand hier Naziherrschaft und Krieg. Das Haus ist von einem malerischem Garten umgeben, der nicht nur als Inspirations-, sondern auch als Nahrungsquelle in den Kriegsjahren diente. Hier versteckte sie (nicht nur eigene) Kunstwerke, die als „entartet“ galten. Kaum jemand in diesem ruhigen Vorort Berlins weiß zu diesem Zeitpunkt, dass Frau Höch vor dem Krieg eine wichtige Rolle in der Berliner Dada-Bewegung spielte. Gemeinsam mit Raoul Hausmann entwickelte sie die Fotocollage als neues bildkünstlerisches Ausdrucksmittel; ihre Arbeiten wurden in Ausstellungen u. a. in den USA und der UdSSR gezeigt – bis sie Berufs- und Ausstellungsverbot erhielt.

Nun, kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges, schafft sie mit 19 Collagen und 19 lyrischen Texten eine phantastisch anmutende Welt mit merkwürdigen Wesen. Diese tragen Namen wie Rennquicke und Borstenflirle, Santaschwebe und Graumann. Jedes von ihnen erfährt eine Charakterisierung im Zusammenspiel von Bild und Text, wobei sich recht Menschliches offenbart: Einsamkeit und Hoffnung, Liebe und Streit.

Überwiegend in Grau-, Braun- und Beigetönen gehaltene, aus Zeitschriften stammende Fotodetails montiert Höch wirkungsvoll zusammen, spielt mit Größenverhältnissen, Formen und Strukturen. Sie schafft wundersame Landschaften und Figuren, denen sie mit eingefärbten Fasern Weichheit, sogar Zartheit verleiht. Das in matten Farben gehaltene Buch wirkt vor allem durch seine expressiven Bilder, deren Ästhetik – vielfältig variiert – auch bei gegenwärtigen Bilderbuchkünstlern zu finden ist.

Höch hoffte zeitlebens auf den Druck ihres Bilderbuches, doch Druckverfahren und Texte erschienen als zu komplex und so scheiterten sämtliche Versuche, einen Verleger zu finden. Erst 1985 – Jahre nach dem Tod der Künstlerin – erschien eine bibliophile Ausgabe mit 200 Exemplaren in Leipzig. Nun, im Jahr 2011, wurde die englische Ausgabe dieses Buches, das „Hannah Höch Picture Book“ – von der Stiftung Buchkunst zurecht als „eines der schönsten deutschen Bücher 2010“ ausgezeichnet.

Dieses altersoffene Bilderbuch kann Einstieg sein für die Auseinandersetzung mit der Dada-Bewegung und einer ihrer bedeutendsten Berliner Vertreterinnen. Und es lädt dazu ein, eigene Collagen zu schaffen. Außerdem ist es eine Aufforderung, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, ganz unter dem Motto Hannah Höchs: „Sehen ist wichtiger als Malen und Zeichnen, das kann man nämlich lernen. Sehen muss man können.“

(Der Rote Elefant 29, 2011)