Sommerferien! Alle sind draußen unterwegs, bis auf Juri und Ava. Ava hat Hausarrest. Juri fühlt sich zu Hause sicherer als draußen, denn die Welt und andere Menschen erfüllen ihn mit einer unerklärlichen Furcht. Zwölf Tage vor Schulbeginn erhält Juri eine SMS-Nachricht von Ava, die er aus der Grundschule kennt. Die beiden beginnen eine eigenwillige Unterhaltung per Text- und Sprachnachrichten. „Was willst du? Von mir. Also was willst du von mir?“, fragt Juri. „Keine Ahnung“, antwortet Ava. „Mir ist langweilig, richtig schlimm. Geht auch nicht anders, oder? Wenn man nur zu Hause sitzt und nichts passiert.“ Bald schon tauchen im Austausch erste Geständnisse auf – kleine Geheimnisse, große Ängste, Träume, Verletzungen. Als Juri herausfindet, dass sich die digitalen Wege der beiden nicht zufällig gekreuzt haben, wird das neu gewonnene Vertrauen auf die Probe gestellt und das verabredete gemeinsame Eisessen scheint in weite Ferne zu rücken.
Sarah Jägers hochaktuelles und gesellschaftlich relevantes Jugendbuch erinnert an die Form des Briefromans und streift solch unterschiedliche Themen wie soziale Ängste und Alleinsein, Fragilität und Reichtum von Beziehungen, Unaufrichtigkeit und Verantwortung füreinander. Avas in Text umgewandelte Sprachnachrichten sind stets auf der linken und Juris SMS konsequent auf der rechten Seite gedruckt. Diese klare räumliche Struktur unterstreicht die Isolation der beiden. Die zwei Ich-Perspektiven offenbaren die gegensätzlichen Charaktere der Jugendlichen: hier die extrovertierte Ava, ein quirliges, mitteilungsfreudiges Mädchen, das Sprachnachrichten nutzt, weil das Tippen sonst viel zu lange dauern würde; dort der introvertierte Juri, der bedacht mit wenigen Worten viel sagen kann und lieber tippt, um sich mehr Sicherheit und Zeit zum Nachdenken zu verschaffen.

Durch Knappheit, Kürze und Umgangssprache eignet sich das Buch hervorragend auch für weniger geübte Lesende ab 12 Jahren. Dennoch ist es eine Herausforderung, die komplex erzählte Geschichte zu erfassen.
Text und Bild wirken eng zusammen. Sarah Maus hat das Buch illustrativ durchkomponiert. Zur Vertiefung der beiden Charaktere wählt sie, in Anlehnung an ein Kostümfest aus deren gemeinsamer Grundschulzeit, für Ava die Figur des „komischen Vogels“, der ständig seine Gestalt verändert, während Juri als Astronaut durch Schutzanzug und Helm von seiner Umgebung abgeschottet ist.

Ein zusätzliches Gestaltungselement sind wiederholt auftauchende Morsezeichen auf Juris Seite, mit denen er Situationen kommentiert: „Error“, „Bedrohung erkannt“, „Warnung“ lassen sich entschlüsseln. Im Gegensatz zum getrennt auf den Buchseiten angelegten Text schaffen die Illustrationen graphisch von Beginn an eine Verbindung zwischen den Hauptfiguren.
Das zweifach zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2025 nominierte Jugendbuch überzeugt mit seiner künstlerischen Gesamtgestaltung. Es bietet sich für eine szenische Umsetzung an, mit der ausblickenden Frage: Wie könnte die erste Begegnung von Ava und Juri in der analogen Welt aussehen?