Cover: Thomas Engelhardt; Monika Osberghaus, Im Gefängnis

„Ameise“, „Bunker“, „Dauerwurst“, alles Wörter aus der Alltagssprache. Aber welche besondere Bedeutung haben sie im Gefängnis? Nachzulesen im „Lexikon Knastsprache“ ab S. 84. Das ist allerdings nur ein Beleg dafür, dass diesem Buch eine ziemlich genaue Kenntnis sowohl der Strukturen einer Justizvollzugsanstalt (JVA) als auch ihres eigentümlichen Innenlebens zugrunde liegt. Die Anregung, das Thema für Kinder aufzubereiten, kam von einer Gefängnispsychologin, welche vor allem Kinder von Insassen im Blick hatte. Davon gibt es ca. 100.000! Aber auch Nichtbetroffene könnte interessieren, von Insidern zu hören, was sich hinter den hohen, Nato-Draht bewehrten Mauern abspielt.

„Ein Mann geht ins Gefängnis. Nennen wir ihn Robert“. So beginnt die Erzählung über einen Straftäter, der wegen eines Raubüberfalls verurteilt und inhaftiert wurde. Parallel dazu erfahren die Leser von dessen achtjähriger Tochter Sina wie es ihr damit geht. Die finanzielle Situation der Familie gestaltet sich kritisch; anderen gegenüber – etwa auf dem Schulhof – traut Sina sich nicht die Wahrheit zu sagen. Der Briefwechsel zwischen Vater und Tochter vermittelt anschaulich und emotional nachvollziehbar, wie ein Kind es erlebt, den Vater aufgrund der Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe lange Zeit gar nicht und später nur sporadisch sehen zu dürfen. Aber Robert wird wegen guter Führung Freigänger und schließlich nach Verbüßung der Zweidrittelstrafe auf Bewährung entlassen. Vieles, was für den Strafvollzug von Bedeutung ist, wird mit einfachen Worten erklärt und mit zahlreichen farbigen, oft comicartigen Illustrationen veranschaulicht, so z. B. alles Erlaubte und Verbotene in einem Haftraum. Porträtierte Insassen weisen keine Stereotype auf, sondern wirken eher wie du und ich. Inhaltlich spannt das Buch einen weiten, über das direkte Thema hinausgehenden Bogen, indem es fragt: Wie läuft ein Prozess ab? Welche Handlungen werden überhaupt bestraft? Wer arbeitet im Gefängnis? Auch problematisiert es die gegenwärtige Form des Strafvollzugs und hinterfragt grundsätzlich Möglichkeiten einer Resozialisierung im gegenwärtigen System.

Autoren und Illustratorin gelang ein detailreiches, realitätsnahes Bild eines gesellschaftlichen Bereichs, über den auch bei Erwachsenen eher Vorurteile als Kenntnisse erwartet werden können. Es läge nahe, mit dem neuen Hintergrundwissen anhand aktueller Polizeiberichte in den Medien darüber nachzudenken und zu diskutieren, welche Handlungen strafwürdig sind und welchen Sinn Strafe hat.

(Der Rote Elefant 36, 2018)