Cover: Jan Terlouw; Kriegswinter

Erzählte Zeit: 1944/45; Schauplatz: das kleine niederländische Dorf De Vlank: Der 15jährige Michiel, Sohn des Bürgermeisters, geht nicht mehr zur Schule, da der Weg dorthin zu gefährlich ist. Das Dorf ist von den Deutschen besetzt. So hilft Michiel bei Bauern oder erledigt kleinere Reparaturen für Besucher im Bürgermeisterhaus. Alles ändert sich, als Michiel durch einen geheimen Brief unfreiwillig in Aktivitäten der Widerstandskämpfer verwickelt wird. Er soll einen verletzten, im Wald versteckten, englischen Piloten versorgen. Das kann er nicht allein schaffen, doch wem kann Michiel trauen? Spätestens als kurz darauf ein toter deutscher Soldat gefunden wird und die Besatzer als Vergeltung damit drohen, Dorfbewohner, unter anderem auch den Vater, zu erschießen, begreift Michiel, das von seinen Entscheidungen nicht nur sein Leben, sondern auch das Anderer abhängt.

Der Roman „Kriegswinter“, erstmalig vor 40 Jahren veröffentlicht, beruht auf wahren Begebenheiten, u. a. auf den Kindheitserinnerungen des Autors. Terlouw gelingt es gleich am Anfang eine starke Sympathie für den Protagonisten zu erzeugen. Gedanken und Ängste, naive Hoffnungen und Erkenntnisse eines Heranwachsenden, der gezwungen ist, in den Zeiten des Krieges erwachsen zu werden, sind durchgängig für den Leser nachvollziehbar. Jedoch hat der auktoriale Erzähler nicht nur Michiel im Blick. Der Autor generiert ein Netz von Einzelschicksalen, die sich nach und nach miteinander verflechten und damit teilweise auf tragische Art deutlich machen, welche Kette von Handlungen eine einzelne, unbesonnene Tat nach sich ziehen kann. So erzählt er von der Flucht der jüdischen Familie Keerkoper und von konspirativen Vorkommnissen unterm Dach einer widerständischen Baronin. Es finden sich ebenso positive Vertreter der deutschen Besatzer als auch moralisch fragwürdige Figuren des Widerstandes. Dadurch entsteht eine dichte Atmosphäre, welche die Geschichte immer wieder aus der Perspektive des Protagonisten heraushebt und zeigt, wie unterschiedlich sich Menschen mit einer Besatzungssituation auseinandersetzen. Bedenkt man das Alter des Buches, ist die ausgewogene, jede Schwarz-Weiß-Malerei vermeidende Darstellung von Themen wie Kollaboration, Judenverfolgung, Deportation oder Besetzung erstaunlich. Am Ende des Buches erklärt ein Glossar zeitrelevante Begriffe; eine Schlussbetrachtung geht auf die damalige Situation in den Niederlanden ein. Da der Roman 2008 verfilmt wurde, bietet sich für den Unterricht in Sekundarstufe 1 und 2 ein Medienvergleich an.

(Der Rote Elefant 31, 2013)