Cover: Gabriella Ambrosio; Der Himmel über Jerusalem

An einem Tag im März 2002 verlässt die Palästinenserin Dima das Haus. Als sie sich noch einmal umsieht, nimmt sie ihre Umgebung wie auf einem Foto wahr, auch sich selbst „heil und ganz“. Sieben Stunden später wird ihr Körper zerrissen in einem israelischen Supermarkt liegen, zerrissen von einer Bombe, die sie selbst an ihrem Körper getragen hat.

Das Geschehen läuft ab wie in einem klassischen Drama, dessen Schicksalshaftigkeit nicht mehr aufzuhalten ist. Damit korrespondierend werden anfangs die Mitwirkenden genannt, auch die „Komparsen“, u. a. die israelische Armee und die Arbeiter im Leichenschauhaus. Es folgen kurze Szenen, jeweils mit einer Überschrift, immer wieder aus der Perspektive einer neuen Person, an einem neuen Schauplatz. Alltagsszenarien, Dialogfetzen, Stücke eines inneren Monologs. Es sind Juden und Palästinenser, militante und friedliche, einige werden sich begegnen in dem Augenblick, in dem die Bombe explodiert. Was geschieht, scheint oft in sich widersprüchlich oder grotesk: Ein an der Vorbereitung des Selbstmordattentats beteiligter Palästinenser kauft bei einer jüdischen Blumenhändlerin einen Strauß für seine Frau; Kinder in einem Flüchtlingslager spielen Märtyrer und machen nachts ins Bett; chassidische Rabbis kratzen nach dem Attentat Hautreste, die jüdisch sein könnten, von den Wänden, um sie zu beerdigen. Eine Atmosphäre von Gewalt liegt über allem, alle sind traumatisiert. Die Form des Textes spiegelt die Zerrissenheit der Situation. Nur in Gestalt eines Kaleidoskops kann ein Geschehen zusammengesetzt werden, das keiner rationalen Entscheidung entspringt. Die Botschaft, die sich nachhaltig einprägt, ist: So kann es nicht bleiben! Wie eine Lösung aussehen könnte, weiß die Autorin auch nicht. Aber es handelt sich nicht um Fiktion. Das Buch orientiert sich an einem realen Fall, bei dem ein israelisches und ein palästinensisches Mädchen umkamen. Der Verlag bietet Unterrichtsmaterial mit Hintergrundinformationen an. Die sind nötig. Die menschliche Tragik zu verstehen, ist eine andere Aufgabe.

(Der Rote Elefant 31, 2013)