Cover: Nicola Davies, Himmelskönig

Tauben sind in Städten selten beliebt. Für den Jungen, der sein Zuhause in Rom verlassen musste, bedeuteten die Tauben auf dem Petersplatz „Heimat“. Im neuen Leben, an einem von Kohlestaub, rauchenden Schloten und Metalltürmen geprägten Ort im Süden von Wales fühlt er sich einsam. Niemand spricht seine Sprache. Er gehört nicht hierher. Doch dann trifft er den alten Bergarbeiter Mr. Evans, der ihn in die Flugkunst von Tauben einführt. Mr. Evans schenkt ihm eine Taube mit einem Kopf „weißer als verschüttete Milch“. Der Junge nennt sie „Re Del Cielo“. Nun soll Himmelskönig ein Wettfliegen gewinnen, bei dem es die große Distanz Rom-Wales zu überwinden gilt. Nach langem Warten und sehnsüchtigem Beobachten des Himmels werden Geduld und Zuversicht belohnt: „Ein Pünktchen … Ein Flecken … Ein Vogel. Eine Taube mit milchweißem Kopf. Ein Held und ein Sieger!“

Himmelskönig überzeugt als Hoffnungsträger und Symbol für gelingende Migration und Ankommen an einem fremden Ort. Obwohl laut Autorin die Geschichte um 1920 spielt, ist deren Botschaft zeitlos. Für die Illustratorin bot der kurze, aus der Ich-Perspektive des Jungen rückblickend erzählte Text Leerräume für bildkünstlerische Assoziationen, so Laura Carlin in einem Interview. Die Traurigkeit des Jungen vermittelt sie in ihren Doppelseiten über abgestufte Grautöne, wofür sie Tinte, Buntstifte, Aquarellfarben und Wachskreiden einsetzte. Heimweh und (noch) Nicht-Angekommen-Sein spiegeln sich in irritierenden Überlagerungen: Vorder- und Hintergründe gehen ineinander über, Innen- und Außenräume, auch die Figur der Mutter, sind nur angedeutet. So bleibt offen, wo der Junge gerade ist, was er sich vorstellt, woran er sich erinnert. Nur wenige Farbakzente stechen aus dem tristen Grau hervor: der gelbe Pullover des Jungen, der rote Schal von Mr. Evans und eine rote Tür. Sie drücken wachsendes Zutrauen zum neuen Heimatort aus bzw. sich intensivierende Freundschaft. Gemäß der Botschaft bestimmen die Tauben, insbesondere Himmelskönig, die Illustrationen und lenken die Betrachter-Perspektive(n). Mal sieht der Betrachter die Vögel sehr nah, mal als fernen (abstrakten) Schwarm, wobei ein doppelseitiges Tableau mit grau-weiß-rotbraunen Riesenvögeln besonders beeindruckt. Eine Doppelseite zeigt eine Taube (mit weißem Kopf) an einem Kriegsschauplatz. Damit verweisen die Künstlerinnen auf die Taube als Friedenssymbol und aktuelle Migrationsgründe. Anknüpfend an eigene Tauben-Anschauungen könnten ausgewählte Illustrationen als Einstieg ins Buch dienen. Denkbar wären solche von Nähe und Ferne, um auf Himmelskönig als direkten und symbolischen „Distanzüberwinder“ neugierig zu machen.

(Der Rote Elefant 36, 2018)