Der Wolf, die Ente & die Maus
Illustration: Jon Klassen
Aus dem Englischen von Thomas Bodmer
38 Seiten
ab 4 Jahren
€ 15,00

Der Wolf im Bilderbuch ist nicht tot zu kriegen. Besonders beliebt sind Angst-Lust-Storys nach dem Muster: Gefräßiger Gierschlund wird auf fabelhafte Weise von Opfern überlistet. Wie hier! „Eines … Morgens traf eine Maus auf einen Wolf und wurde gleich verschlungen.“ Lebendig! Rotkäppchen und sieben Geißlein lassen grüßen! Doch es kommt besser. Im Bauch wohnt bereits eine fidele Ente, die einst Angst vor Wölfen plagte: „Hier drin gibt es solche Sorgen nicht“. Von nun an leben Ente & Maus in Saus und Braus, was dem Wolf Bauchgrimmen beschert. Sein Geheul lockt den Jäger an. Der schießt zwar fehl, aber die Mieter sind alarmiert: Ihr Heim ist bedroht! „Auf in den Kampf“! Am Ende haben die Tapferen beim dankbaren Wolf einen Wunsch frei …

Barnetts Text voll trockenen Humors, knapper Kommentare und witziger Dialoge geht mit Klassens abstrahiert-minimalistischen Illustrationen ein spannungsreiches Verhältnis ein. Dabei bietet der Text viele Leerstellen, welche der Illustrator angstlustkomisch füllt. So z. B. beim Ruf „Auf in den Kampf“, wo Ente & Maus kochtopfbehelmt aus dem aufgeklappten Wolfsmaul sausen, die Maus bewehrt mit Golfschläger und flatterndem Tischdeckenumhang. Hier stand Superman Pate! Oder wenn die Maus in der Wolfsspeiseröhre verharrt, wovon nichts im Text steht. Subtile Komik zeigt sich insbesondere in der Gestaltung der Augen. Selbst im Profil weisen die Wolfsaugen (schwarze Längs- auf weißen Querovalen) einen picassoartigen Engstand auf, was der Figur Tumbheit verleiht. Enten- & Maus-Augen wiederum illustrierte Klassen als schwarze Punkte in umrandeten Ellipsen, aber die Figuren blicken nie identisch, sodass Charaktere, differierende Gefühle und Reaktionen deutlich werden.

Atmosphärisch eindrucksvoll wählte Klassen für „draußen“ vorrangig kühl wirkende blasse Grau-Grün-Gelb-Töne, für „drinnen“ dagegen kräftiges Dunkelbraun, woraus Figuren und Interieur in Orange und Beige hervorleuchten. Laut Selbstaussage zeichnet der trickfilmaffine Künstler mit Tinte und Stiften Figuren und Hintergründe separat auf Papier vor und fügt alles am Computer zusammen. Dadurch wirkt z. B. der Wald wie eine Theaterkulisse mit aufgeklebten (Papier-)Bäumen, was ihn als Kunst-Ort ausweist.

Vor einer Bucheinführung könnten die Entensprüche „Ich bin zwar verschluckt worden, aber ich habe keine Lust, gefressen zu werden“ und „Du wirst dich wundern, was man in einem Wolf alles finden kann“ präsentiert werden. Mit welchen Märchen bzw. Figuren verbinden Kinder diese Aussagen? Nach Kenntnis des Hauptteils wäre nach dem „Wunsch“ von Ente & Maus zu fragen. Wollen sie „drinnen“ oder „draußen“ leben? Wählen sie Sicherheit oder gefahrvolle Freiheit?

(Der Rote Elefant 37, 2019)

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