Großmutter und Enkel, beide vom indigenen Volk der Cree, begeben sich in die Natur, um Hagebutten für Tee zu ernten. Mehr passiert nicht, aber genau darin liegt der Zauber dieser alltäglichen, entschleunigt wirkenden Geschichte, welche beiläufig Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Generationen vermittelt. Wenn die Großmutter Auto fährt, tut das auch der Enkel, allerdings mit einem Spielzeugauto. Geht sie draußen umher, tut er das auch, aber anders … Das jeweils Andere zeigt sich auf den ersten sechs Doppelseiten, wo links die Großmutter agiert und rechts der Enkel. Da sie an einem Punkt der Handlung einander „helfen“ müssen, treffen sie sich auf den nächsten zwei Doppelseiten und gehen dann bis zum Ende des Buches wieder auseinander.

Insgesamt schuf Caitlin Dale Nicholson, Angehörige des Stammes der Tahltan, für die Geschichte zehn großflächige Acryl-Bilder, deren gedämpfte Erdtöne die Landschaft atmosphärisch versinnbildlichen. Zusätzliche Tiefe erreichen die Bilder mittels der durchscheinenden Leinwandstruktur. Der Text besteht aus kurzen Sätzen in drei Sprachen. Dabei wird die Silbenschrift der Cree von ihrer Übertragung in lateinische Buchstabenschrift und von der deutschen Übersetzung flankiert. Wirken Bild- und Text-Inhalt auf den ersten Blick identisch, zeigen sich doch an manchen Stellen humorvolle Differenzen, z. B. wenn sich Großmutter nach dem Hagebutten-Sammeln müde ausruht, der Enkel aber andere Pläne mit seiner Steinschleuder verfolgt.

Im Epilog wird ein Rezept für Hagebutten-Tee präsentiert und zwei persönliche Widmungen sagen etwas über die politische Botschaft des Buches. Gerichtet an die eigenen Kinder bzw. Enkelkinder fordern Nicholson und Morin-Neilson die nachfolgende Generation dazu auf, die Kultur der Cree in die Zukunft zu tragen. Auch wenn diese Kultur in Kanada nicht – wie weitgehend in den USA – ausgerottet wurde, gab es doch über Jahrzehnte entsprechende Bestrebungen, Kultur und Sprache der Cree auszulöschen.

Obwohl für Kinder ab 2 annonciert, eignet sich das Bilderbuch eher für den Einsatz in der Grundschule Zum einen wirkt es im Sinne interkulturellen Verstehens, zum anderen sensibilisiert es für die Themen Umweltschutz bzw. Achtung und Bewahrung der Natur, zumal das Säen bei den Cree als Teil eines heiligen Rituals gilt. Damit korrespondiert „niwîcihâw / Helfen“ z. B. mit Initiativen wie „Plant for the Planet“. Bei der Arbeit mit dem Bilderbuch empfiehlt es sich, den  Folgeband „nipêhon / Warten“ einzubeziehen, worin drei Generationen von Cree-Frauen Schafgarbe für ihren Tee sammeln.

(Der Rote Elefant 37, 2019)

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