Cover: Jonathan Bentley, Klein und GROSS

Wenn man klein ist, wirkt alles zu groß. Verspeist der große Bruder am unerreichbar hohen Küchentisch allein die köstlichsten Kekse, wird diese Annahme zur Gewissheit. Und als wäre dessen Überlegenheit nicht schon groß genug, saust der Bruder samt Keksen auch noch mit dem Fahrrad auf und davon. Doch der Kleine lässt sich nicht unterkriegen. Schließlich besitzt er Phantasie, was die folgenden Bilddoppelseiten ausdrucksstark belegen. Aus dem Rucksack des Kleinen wachsen dank dessen Vorstellungs- und Widerstandskraft drei Stofftiere bedrohlich heraus. Ausgestattet mit phantastischen Körperteilen helfen die raumgreifenden Wesen ihrem kleinen Schöpfer, den großen Bruder zu übertrumpfen. Nichts mehr von: „Klein. Kleine Beine, kleine Hände, kleiner Mund.“ Aber, wie es so ist mit kindlichen Allmachtsphantasien: Manches gerät nicht ganz perfekt und so erscheint plötzlich ein Monster. Ergo: Die kleinen Beine in die kleine Hand und los! Angesichts des etwas behäbigen Verfolgers erweist es sich dabei als großer Vorteil, blitzschnell in kleine Verstecke verschwinden zu können. Und dass so der Große dazu gebracht wird, dem Kleinen endlich doch die heißersehnten Kekse zu überlassen, wird kleine und große Betrachter und Vorleser (diebisch) freuen.

Jonathan Bentley folgt in Text und mit Wasserfarben kolorierten Bleistiftzeichnungen konsequent der naiven Perspektive seines Ich-Erzählers auf sich selbst und das Geschehen. Dies gelingt zum einen durch kurze, klare Sätze bzw. Satzfragmente, zum anderen durch die Gestaltung einer überschaubaren Welt.

Es lohnt sich, sehr genau hinzuschauen, was für den Kleinen auf einer Doppelseite alles parallel passiert, aber auch darauf zu achten, welche Verbindungen von Doppelseite zu Doppelseite bestehen. Für letzteres liefert die rot gepunktete Decke, deren Muster sich schon auf Vor- und Nachsatz findet und die ein vertrauter Bestandteil des brüderlichen Zusammenspiels ist (und am Ende buchstäblich Dinge zusammenhält), ein wichtiges Beispiel. Schon allerkleinsten Betrachtern erschließt sich hier eine Geschichte, in der sie ihre Lebensrealität wiedererkennen und sich lustvoll mit ihr auseinandersetzen können. Erstlesern dagegen helfen die typographischen Mittel beim Erschließen von Wortbedeutungen, Satzinhalten oder inhaltlichen Bezügen. Interessant wäre es, die Texte im Buch abzukleben und mit Kindern eigene Geschichten über „klein und GROSS“ zu erzählen.

(Der Rote Elefant 34, 2016)