Cover: Gus Gordon, Irgendwohin oder der Tag, an dem George das Fliegen lernte
Irgendwohin oder der Tag, an dem George das Fliegen lernte
Illustration: Gus Gordon
Aus dem Englischen von Gundula Müller-Wallraf
32 Seiten
ab 8 Jahren
€ 14,00

Ein altbekanntes Motiv, aber wie geistreich und psychologisch einfühlsam der Australier Gus Gordon die Vermeidungsstrategien seines Ganters George vorführt, ist ein „extraordinäres“ Lese- und Schauvergnügen, zumal gekonnt reduzierter Text und vielfältiges Bild integrativ wirken. Heißt es anfangs: „George reiste niemals irgendwohin. Nicht hierhin. Nicht ein bisschen dorthin …“, verraten nur die Illustrationen, wo das ist. Weist bei „Noch nicht einmal hierher“ ein Pfeil auf eine Bäckerei, fragen sich Leser/Betrachter*innen, warum George als begnadeter Hobbybäcker auch diesen Ort meidet, wo er für seine Freunde, die zwischen den Flügen bei ihm leckereimäßig auftanken, neue Inspirationen fände! Aber George können nicht einmal Vergleiche „abholen“ wie „Dieses Eclair ist fast so atemberaubend wie ein Segelflug über die Anden bei Sonnenaufgang“ oder „Dieser Apfelstrudel erinnert mich an Paris bei Nacht …“. Nur Bär Pascal entlarvt Georges Ausreden (Yoga, Memoiren schreiben u. a.) und bietet sein Talent an, „schwierige Probleme zu lösen“. Letztlich hat George die zündende Idee, so dass beide eine Zeitlang durch die Welt gondeln. „Extraordinär“! Wieder zu Hause, macht sich George gleich ans Backen. Und wie weiter? Natürlich wieder „Irgendwohin“.

Historische und moderne Anzeigen für imposante Koffer oder Taschen, ausgeschnitten aus fremdsprachigen Zeitungen, führen das Thema „Reisen“ auf Vor- und Nachsatz bereits ein. Die 1. Doppelseite knüpft direkt an: Über 20 Vögel fliegen nach rechts oder links aus dem Buch, z. T. ornithologisch, aber mehr noch sozial charakterisiert. Für Baskenmütze, Hut oder Zylinder nutzte Gordon wiederum Papiervorlagen. Seine Collagen sind ein Mix aus Bunt- bzw. Bleistiftzeichnungen und Aquarellmalerei, komplettiert mit gemusterten Papieren oder Fotos von Orten, Fauna, Flora samt (z. T. winzigen) Gegenständen. Dazu kommen wechselnde Schrifttypen, in die Bilder eingefügte Texte und Comic-Stilmittel, wie Wort- und Bildblasen. Letztere z. B. mit einem (Touristen?)Lama in den Anden oder einer „extraordinären“ Paris-Ansicht.

Die Vielfalt der Elemente und deren Kombinationen erzeugen eine erzählerische Qualität, welche die Aufmerksamkeit immer wieder neu bindet und zu vielen Detailentdeckungen herausfordert. Kinder werden früh ahnen, dass Georges Gründe für das „Nichtfortwollen“ geflunkert sind. Was klänge glaubhafter? Warum verweigert er sich tatsächlich? Ihrer Sympathie kann sich George jedoch unbedingt sicher sein, wissen doch Kinder nur allzu gut, wie schwer es ist zuzugeben, dass man etwas nicht kann.

(Der Rote Elefant 36, 2018)