Cover: Elisabeth Steinkellner; Papilios Welt

Die Welt des androgynen Kindes Papilio ist wunderbar. In ihr ist jeder frei, sein Dasein individuell zu gestalten. Jeder kann arbeiten, essen und lieben, wo, was und wen er möchte. „Wenn ihr die Augen schließt, könnt ihr sie (diese Welt) auch sehen”, so lautet die Botschaft an Papilios Zuhörer: Polizisten, Anzugträger, Seiltänzer, Barfüßige … Diese finden diese Vorstellung sehr schön, jedoch zu verrückt, zu riskant, zu utopisch. Außerdem rufen die Alltagspflichten. Einzig ein sommersprossiges Mädchen bleibt bei Papilio. „’Komm‘, sagt sie, ‚wir versuchen es!‘ Und sie breiten die Arme aus und warten auf den Wind.“

Papilio (lat.: Schmetterling), mythologisch mit Wiedergeburt oder Unsterblichkeit der Seele verbunden, ist kindlich weiser Prophet und Antithese Zarathustras. Die Fragilität des Falters steht gleichnishaft für die Beschaffenheit von Träumen und Idealen. Aber: Wird Papilio auch belächelt, hat er doch die Kraft zu einen. Kurzzeitig selbstvergessen sehen Menschen aller Art die Welt mit Papilios Augen. Dass Papilio mit dem Frühlingswind heranschwebt, legt immerhin die Möglichkeit eines Neubeginns nahe.

In den Illustrationen wird Papilio mit großer Brille und engelartigen Schmetterlingsschwingen ausgestattet. Die kunstvoll gezeichneten und mit Fertigteilen zu Collagen gefügten Bilder spinnen die Handlung nicht nur weiter, sondern erzählen eigene, anrührende, auch absurde Geschichten. Mit gebeugten Rücken oder Falten wirken die Figuren darin oft vom Leben gezeichnet, jedoch stets sympathisch, und immer leben sie in friedlicher Koexistenz mit ihrer Umwelt. „Fremde“ begegnen sich auf ganz besondere Weise: Ein Indianer spielt verträumt Akkordeon, neben ihm verziert ein Chinese die Mauer mit Graffiti-Schnorkeln, und vor diesem sausen fröhliche Nordländer im Rollstuhl vorbei. Ein beleibter Südländer küsst innig einen verlebt aussehenden Nordländer oder ein lächelnder Fernostländer und ein schaukelnder Vogel teilen sich ein Iglu-Baumhaus. Grundsätzlich sind die Landschaften in Papilios Welt ‒ im Gegensatz zu den abgezirkelten Räumen in der (Erwachsenen)Realität ‒ an den Illustrationsrändern offen. So bieten sie gedanklich und tatsächlich weitere (kreative) Gestaltungs- und Entfaltungsräume. Man darf hoffen, dass Papilios Utopie nicht nur die Kleinen zu großen Träumen ermutigt ‒ wie das sommersprossige Mädchen im Buch ‒ sondern auch Große wieder einstigen Idealen näherbringt.

(Der Rote Elefant 31, 2013)