Cover: Christophe Ylla-Somers, Yvan Pommaux, Wir und unsere Geschichte

„Immer noch wüten Kriege. Aus keinem haben wir etwas gelernt.“ So lautet das Resümee der Autoren Pommaux und Ylla-Somers am Ende ihres Ganges durch die Geschichte der Menschheit, die sie in einem großformatig-quadratischen, knapp 100 Seiten umfassenden Bilderbuch vor uns ausbreiten. Das klare inhaltliche Konzept richtet sich ebenso gegen eine eurozentristische Geschichtserzählung wie gegen eine „von oben“. Die Schauplätze wechseln ständig zwischen Europa, Amerika, Afrika, Asien und dem pazifischen Raum, und auch das Leben einfacher Leute kommt immer wieder vor. Neben politischen Entwicklungen, worin Sklaverei, Ausbeutung und Kriege als Herrschaftsmechanismen und Gewaltexzesse gebrandmarkt werden, gibt es auch Verweise auf wissenschaftlich, kulturell und künstlerisch Bedeutendes. Das einleitende „wir“ bestimmt die Darstellung bis zum Beginn der Neuzeit und wird zum Schluss wieder aufgegriffen. Offensichtlich wollen die Autoren vermitteln, dass „wir“ uns als „eine“ Menschheit begreifen sollten, auch wenn immer wieder Konflikte und gegensätzliche Interessen das Gemeinsame in Frage gestellt haben. Auch wenn es am Ende Porträts „einiger Berühmtheiten“ gibt (insgesamt 60, davon 5 Frauen; warum nicht Jeanne d’Arc, Elisabeth I., Rosa Luxemburg?), wird Geschichte nicht auf das Handeln großer Männer reduziert. Sie kommen in den Illustrationen zwar vor (z. B. Alexander, Dschingis Khan, Napoleon, Hitler), aber ohne Namen. Dafür finden sich viele kleine Szenen mit anonym bleibenden Personen, die aus dem Geschehen heraustreten und ihre Perspektive beisteuern. Zum Teil wirken diese Szenen wie Metaphern für kulturhistorische Thesen. Etwa wenn Pommaux die Dekadenzphase des Römischen Reiches vorführt, indem er zwei Römer auf ihren Liegen sich darüber beklagen lässt, dass die Barbaren sich in Roms ehemaligen Kolonien mausig machen. Einen tradierten autoritären Erziehungsstil stellt er mittels eines Blicks durch das Fenster eines mittelalterlichen Fachwerkhauses bloß: Im Innern verprügelt ein Mann einen Jungen, an der Wand hängt ein Kreuz. Oder: Am Rinnstein einer Industriestadt reden drei Arbeitsmänner darüber, dass sie Gewerkschaften gründen müssen …

Die für Pommaux typischen comicartigen Bildfolgen wechseln zwischen großzügigen Panoramen – ganze Wüstenlandschaften – und detailliert-kleinteiligen Interieurs mit wenig Personal. Dazwischen finden sich Landkarten und erläuternde Text-Bildpanels, die Zusatzinformationen zum jeweiligen Zeitabschnitt enthalten. Am spannendsten sind die handlungsintensiven Szenen, die manchmal an das eigene Bildgedächtnis appellieren. Und immer wieder laufen Katzen (älteste Haustiere!) durch die Bilder. Ein überzeugendes Buch voller Denkanstöße. Vielleicht und hoffentlich macht es Lust auf (mehr) Geschichte.

(Der Rote Elefant 34, 2016)